Heute vor einem Jahr… Erinnerungen an meinen Unfall

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Heute vor einem Jahr

Ich hatte gerade eine Behandlung am Fuß bei meinem Physiotherapeuten, die ich ziemlich schmerzhaft fand. Ich bin bei so etwas sowieso empfindlich, kann kein Blut und keine Spritzen sehen und werde bei Schmerzen oft ohnmächtig. Nach der Behandlung stehe ich direkt auf und ziehe mir meine Schuhe und meine Jacke an. Ich verabschiede mich und verlasse den Behandlungsraum. Dann gehe ich die Treppe hinunter, die zum Empfangsbereich und zum Ausgang führt. Als ich die Treppe hinuntergehe, merke ich, dass mir grade ein bisschen schwindelig und schwummerig wird. „Das wird schon gehen“, denke ich und laufe einfach weiter. Ich will eigentlich einfach nur endlich nach Hause. Immerhin war heute einer langer Tag, ich war direkt nach der Arbeit mit einer Freundin spazieren, dann bei meinem Physiotherapeuten wegen der Behandlung am Fuß und seit heute früh noch gar nicht zu Hause. Außerdem habe ich ganz schön Hunger und freue mich auf das Abendessen. Als ich die Treppe unten bin, laufe ich weiter zur Empfangstheke, da ich meine Behandlung noch bezahlen muss. Ich frage, wie viel es kostet und als mir die Dame hinter dem Empfang den Preis nennt, suche ich in meiner Handtasche nach meinem Geldbeutel und will das Geld herausholen. Dabei merke ich wieder den Schwindel, der jetzt deutlich schlimmer wird. „Ich glaube, mir wird gerade schwarz vor Augen…“, sage ich zu der Dame hinter dem Empfang. Sie schaut mich besorgt an und antwortet „Dann setzen Sie sich bitte auf einen der Stühle hinter Ihnen“. Aber so weit schaffe ich es nicht mehr, obwohl sich die Stühle wirklich direkt hinter mit befinden. Denn ich werde von einen auf den anderen Moment ohnmächtig, falle um wie ein Baum und mein Kopf prallt hart auf dem Boden auf. Jetzt wird für mich alles erstmal schwarz…

Ich werde wach und öffne langsam meine Augen. Ich liege auf dem Boden in meiner Physiotherapie-Praxis, vor der Empfangstheke. Mein Physiotherapeut kniet hinter mir und mein Kopf liegt in seinem Schoß. Es herrscht eine angespannte Stimmung das merke ich sofort. „Wo bleibt denn der scheiß Krankenwagen, wenn man einmal einen braucht? Das kann doch nicht so lange dauern, verdammt“, flucht mein Physiotherapeut. Er ist ganz aufgebraucht und wirkt irgendwie panisch. Ich verstehe die Situation überhaupt nicht. „Ist der Krankenwagen etwa für mich?“, denke ich. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht, das merke ich. Ich will etwas sagen, will mich bewegen und nachfragen, was eigentlich los ist aber ich kann nicht. Ich bin wie gelähmt und kann rein gar nichts machen. Dann wird wieder alles schwarz. 

Meine Nahtoderfahrung

Auf einmal sehe ich ein weißes und sehr helles Licht vor mir. Ich bin mir sofort ganz sicher und weiß tief in mir drinnen, dass dieses Licht der Tod ist. Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Es ist ein wunderschönes und warmes Licht, das eine unglaubliche Liebe, Ruhe und Wärme ausstrahlt. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben so etwas Schönes gesehen. „Es ist jetzt soweit, du musst in das weiße Licht gehen“, sagt eine männliche Stimme zu mir. Ich will aber nicht in das weiße Licht gehen, auch wenn es wunderschön ist. Ich spüre irgendwie, dass meine Zeit noch nicht gekommen ist. Es ist noch zu früh für mich. Meine Zeit auf der Welt kann noch nicht vorbei sein. Deswegen antworte ich „Ich will aber noch nicht in das weiße Licht gehen“. Danach ist wieder alles schwarz. Und das bleibt es auch erstmal für eine sehr, sehr lange Zeit. 

Der schlimmste Moment nach dem Unfall

Ich werde gerade wach. Ich weiß nicht, wo ich bin, kann aber Umrisse erkennen. Ich liege in einem Bett in einem Zimmer, das mich an ein Krankenhaus erinnert. Neben mir ist ein weiteres Bett, in dem auch jemand liegt. Eine Frau, die schwer atmet und an sehr viele Schläuche angeschlossen ist. Ich weiß überhaupt nicht, wo ich eigentlich bin. Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich weiß nicht, in welcher Zeit wir leben, welches Jahr ist und ich kann die ganze Situation weder räumlich noch zeitlich einordnen. Ich merke, dass ich mich nicht bewegen kann. Das Einzige, was ich kann, ist Liegen. Ich ahne, dass mir etwas Schlimmes passiert ist. Ich kann mich aber nicht genau erinnern, was passiert ist. Ich kann aus meiner Zimmertür hinaus auf den Flur schauen. Da herrscht ein rechtes Getümmel, Pflegerinnen und Pfleger in weißen Kitteln wuseln umher. Lauter fremde Leute. Ich merke langsam, wie Panik in mir hochsteigt. Das alles macht mir Angst und am schlimmsten ist, dass keiner hier ist, den ich kenne. Keine Familie, keine Freunde, da ist einfach niemand. Niemanden, den ich fragen kann, was passiert ist. Nur ich und ich bin gefangen in dieser komischen und absurden Situation, die ich überhaupt nicht einordnen kann. Ist das alles ein böser Alptraum und ich muss einfach nur aufwachen? „Aber ich bin doch wach, das muss die Realität sein…“, denke ich und als ich das feststelle, bekomme ich noch mehr Panik. Ich merke, wie mir Tränen in die Augen steigen. Ich will um Hilfe schreien, aber ich kann nicht. Aus meinem Mund kommt nur ein ganz leiser, kleiner Hilfeschrei. Und obwohl mein Schreien nur ganz leise ist, höre ich nicht auf. Ich bekomme immer mehr Panik und schreie und heule, die Tränen laufen mir in großen Strömen die Wangen herunter… 

Der schönste Moment nach dem unfall

Ich wache heute mit einem Lächeln im Gesicht auf. Endlich ist Freitag, der Tag meiner Entlassung aus der Rehaklinik. Heute kommen mein Freund und mein Papa und holen mich endlich ab. Es ist der Tag, dem ich vier Wochen lang entgegen gesehnt habe. Ich bin aufgeregt und kann mein Glück gar nicht fassen. Ich nehme mein Handy, das neben meinem Bett liegt und wähle die Nummer von meinem Papa. Ich will mich versichern, dass ich heute auch wirklich abgeholt werde. Die ganze Zeit in der Rehaklinik ist mir so unwirklich vorgekommen und ich habe immer noch Probleme, das alles als real wahrzunehmen. Mein Papa hebt ab, er ist gerade erst aufgestanden. „Papa, ist es wahr? Kommt ihr heute wirklich und holt mich ab? Werde ich endlich entlassen?“, frage ich. Mein Papa muss lachen, weil ich anscheinend immer noch nicht glauben kann, dass es wahr ist. „Ja Kind, wir holen dich heute ab. Ich frühstücke jetzt, mache mich fertig und dann fahren wir los und holen dich“, antwortet er und versucht, mich etwas zu beruhigen. Wir telefonieren noch so lange, bis mein Papa und mein Freund ins Auto steigen und losfahren denn ich will mir ganz sicher sein, dass sie auch wirklich kommen. Als sie im Auto sitzen und losfahren, macht mein Papa das Fenster auf und hält das Telefon hin. „Kind, das ist der Fahrtwind. Kannst du es hören? Wir sind jetzt losgefahren, du kannst es mir glauben“. Erst jetzt bin ich wirklich beruhigt. Wir telefonieren noch kurz und legen dann auf.

Jetzt muss ich mich noch eine Stunde gedulden, bis sie da sind. „Wie soll ich das aushalten?“, denke ich. Doch dann stehe ich auf und mache mich fertig. Daraufhin wird das Frühstück ins Zimmer gebracht – für mich gibt es mal wieder Schokoladenpudding. Weil ich von den ganzen Schläuchen im Koma noch ganz wund im Hals bin, kann ich nur Brei und flüssige Nahrung zu mir nehmen. Ich esse ein paar Löffel, aber wirklich viel bringe ich nicht runter, weil ich zu aufgeregt bin. Nach dem Essen stehe ich auf und kontrolliere noch einmal die Sachen, die ich gestern schon gepackt habe. Ich bin immer noch manchmal ziemlich durcheinander und habe Angst, dass ich etwas Wichtiges vergessen haben könnte. Es scheint aber alles in meinen zwei Reisetaschen verstaut zu sein. Meine Zimmernachbarin hat gleich ihre erste Therapie und muss los. Es wird Zeit, sich zu verabschieden. Wir umarmen uns und haben beide ein bisschen Tränen in den Augen. Wir waren in der ganzen Zeit so gut füreinander da, haben uns unterstützt und gegenseitig Trost gespendet. „Machen Sie es gut, Frau J., ich wünsche Ihnen alles Gute und es tut mir leid, dass ich immer so viel geweint habe. Sie hatten es mit mir als Zimmernachbarin wirklich nicht leicht“, bringe ich schluchzend heraus. Als wir uns verabschiedet haben, lege ich mich wieder ins Bett und fange an, zu lesen. Ich muss mich irgendwie ablenken und die Zeit rum bringen, sonst drehe ich noch durch. Das Lesen beruhigt mich zum Glück ein bisschen und bringt mich auf andere Gedanken, auch wenn ich alle paar Minuten voller Sehnsucht zur Uhr blicke. „Jetzt kann es nicht mehr lange dauern“, denke ich und die Abstände, in denen ich zur Uhr schaue, werden immer kürzer.

Eine Pflegerin kommt auf einmal in mein Zimmer. „Frau Wendland, Ihr Papa und Ihr Freund sind jetzt da. Sie stehen unten und warten. Wir können jetzt gehen“, sagt sie. Ich kann es nicht glauben und spüre die Aufregung und die Freude, wie sie in mir hochsteigen. „Jetzt schon?“, frage ich aufgeregt. „Ja jetzt schon. Kommen Sie, ich nehme Ihr Gepäck und Sie konzentrieren sich bitte ganz aufs Laufen“, antwortet sie. Also stehe ich auf und wir laufen gemeinsam den Flur entlang, bis wir beim Aufzug angekommen sind. Wir steigen ein und fahren nach unten ins Erdgeschoss. Dieser ganze Weg kommt mir unendlich lange vor. Unten angekommen laufen wir einen weiteren Flur entlang. Alles passiert ganz langsam, da ich mit dem Laufen immer noch sehr große Probleme habe. Aber ich strenge mich heute extra an, denn ich will meinem Papa und meinem Freund entgegen laufen. Ich will, dass sie staunen, wie gut ich schon laufen kann und dass sie stolz auf mich sind. Nun kann ich die Glastür sehen, die nach draußen zum Parkplatz führt. Durch die Scheiben kann ich meinen Freund und meinen Papa sehen, wie sie vor dem Auto stehen und warten. Ich kann es nicht glauben, endlich bin ich frei. Ich gehe durch die Tür und sage leise „Hallo … endlich, ich freue mich so sehr“. Wir fallen uns in die Arme und warme Tränen strömen meine Wanger herunter. Tränen der Freude. Tränen der Erleichterung. Mir fallen tausend Steine vom Herzen und ich fühle mich so glücklich und dankbar wie noch nie in meinem Leben. Diesen Moment werde ich niemals wieder vergessen.

 

Als wir uns endlich aus unseren Umarmungen lösen, verabschieden wir uns noch kurz von der Schwester, die mich begleitet hat und überreichen ihr Abschiedsgeschenke für sie und die ganze Abteilung, in der ich in den letzten Wochen zuhause war. Dann setzen wir uns alle ins Auto und fahren endlich los. Endlich nach Hause. Ich kann mein Glück nicht fassen und bin einfach nur dankbar, dass ich endlich nach Hause kann. Endlich geht mein Wunsch in Erfüllung. Ein Wunsch, den ich seit dem ersten Erwachen nach dem Unfall sofort gespürt habe und der seitdem immer größer und stärker geworden ist. Endlich hat das Warten ein Ende. Endlich bin ich frei. Endlich kann ich nach Hause zu meiner Familie. Endlich kann ich heim, heimkehren. 

Das waren meine Erinnerungen an den Unfall, mein schlimmster und mein schönster Moment nach dem Unfall. Wenn ich so darüber nachdenke, kann ich selbst nicht richtig glauben, dass der Unfall und all das nun schon ein ganzes Jahr her ist. Heute, an diesem Tag, ist es ein komisches Gefühl. Aber ich weiß auch, dass es etwas Schönes bedeutet. Es bedeutet nämlich, dass ich das Schlimmste überstanden habe. Ich habe es längst überstanden und hinter mir gelassen und jetzt wird alles einfach nur noch besser. Und dafür bin ich so unendlich dankbar.

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