Wie ich nach meinem Unfall das Laufen wieder neu gelernt habe

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Laufen. Auf den eigenen Füßen durchs Leben gehen. Mit beiden Beinen fest im Leben stehen. Vor dem Unfall hätte ich im Leben nicht gedacht, dass ich irgendwann mal nicht mehr laufen könnte. Dass ich das Laufen komplett neu lernen müsste. Etwas, das doch eigentlich so selbstverständlich ist im Leben.

Aber nach dem Unfall und der Zeit im Koma konnte ich nicht mehr laufen. Nicht mehr selbstständig gehen. Das Einzige, was ich konnte, war am Anfang im Bett zu liegen. Sobald ich wieder bei Bewusstsein war, wusste ich sofort: Ich will unbedingt wieder laufen können. Und zwar am besten so schnell wie möglich. Damals hatte ich noch nicht geahnt, wie lange es tatsächlich dauern würde, das Laufen wieder zu lernen. Dass es ein Prozess ist und im wahrsten Sinne des Wortes nur Schritt für Schritt funktionieren würde.

Erste Schritte mit dem hohen gehwagen

Nach dem Liegen war mein nächster großer Erfolg erstmal aufrecht sitzen zu können. Und das bedeutete auch, dass ich bereit für einen Rollstuhl war. Da war ich zwar noch weit vom eigenständigen Laufen entfernt aber trotzdem war es ein großer Schritt für mich. Denn es bedeutete, nicht mehr nur ans Bett gefesselt zu sein. Als ich noch ein bisschen stabiler war, kam endlich der Tag, an dem mein Lauftraining beginnen sollte. Wie lange habe ich diesen Tag herbei gesehnt! Als mich meine Physiotherapeutin aus meinem Zimmer abholte und mich in den Trainingsraum brachte, konnte ich meinen Augen erst nicht trauen. Es stand ein komisches Gefährt in der Mitte des Raumes, ein sogenannter „hoher Gehwagen“. Ich wollte doch nicht mit diesem komischen Gerät laufen sondern endlich alleine und selbstständig. Aber von wegen, daran war am Anfang nicht zu denken. Viel zu groß war die Gefahr, hinzufallen oder das Gleichgewicht zu verlieren. Also gut – der Gehwagen wurde mein neuer bester Freund, mit dem ich mich langsam ans Laufen herantastete. Auf diesem Gehwagen konnte ich praktisch meinen ganzen Oberkörper ablegen und mich mit den Armen festhalten. Also bin ich fleißig damit gelaufen – von der einen Seite des Trainingsraumes zur anderen und wieder zurück. Immer und immer wieder. Ab jetzt war ich hochmotiviert und jedes Mal wenn Physiotherapie auf dem Plan stand und mich die Therapeuten fragten, was wir heute machen wollen, war meine Antwort jedes Mal gleich: Laufen üben! 

Mein neuer bester Freund: der rollator

Irgendwann war ich bereit für die nächste Stufe und überglücklich: ich durfte mit Rollator laufen. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich mich darüber mal so sehr freuen würde. So verbindet man mit einem Rollator doch meistens ältere Menschen, die nicht mehr richtig laufen können. Aber das war mir egal. Denn ab jetzt war ich dank Rollator wieder ein Stück mobiler und konnte sogar draußen üben. Unzählige Male bin ich nun mit Rollator im Park der Rehaklinik spazieren gegangen. Allerdings immer unter Aufsicht meiner Physiotherapeuten denn aufgrund meiner Teillähmung im rechten Bein war die Stolpergefahr noch recht groß. Ich hatte einfach zu wenig Kraft im Bein und bin quasi ständig über meinen eigenen Fuß gestolpert. „Viktoria, denk an deinen rechten Fuß. Schön anheben!“ Wie oft hatte ich diesen Satz von den Therapeuten gehört.

endlich eigenständig laufen

Als ich mit dem Rollator einigermaßen sicher gehen konnte war es endlich soweit: Ich durfte zum ersten Mal eigenständig laufen! Ich war so glücklich und werde den Moment nie vergessen, als meine Physiotherapeutin zu mir sagte „Viktoria, ich denke du bist jetzt soweit. Fühlst du dich bereit, es heute mal ohne Rollator zu versuchen?“ Und ob ich mich bereit fühlte! Als erstes sollte ich nur ein ganz kurzes Stück ohne Rollator laufen, wieder vom einen Raumende zum anderen. Ich weiß noch, wie unsicher ich mich gefühlt habe und wie unendlich weit mir dieses kleine Stück vorkam. Aber ich habe es auf Anhieb geschafft und es war ein unbeschreibliches Gefühl, zum ersten Mal wieder auf meinen eigenen Beinen zu stehen und wieder ohne Hilfe zu laufen. Ab jetzt trainierte ich fleißig jeden Tag das Laufen ohne Rollator – auch wenn es meistens nur kleine Stücke waren. Ich bin die Gänge der Rehaklinik unzählige Male auf und ab gegangen – weiterhin natürlich nur mit Begleitung meiner Physiotherapeutin. Irgendwann war ich sogar so weit, regelmäßig auf dem Laufband zu trainieren. Und Treppen steigen zu üben. Das war auch sehr wichtig für meine Entlassung – denn auch zuhause haben wir mehrere Treppenstufen und darauf wollte ich ja vorbereitet sein.

Und wieder der rollator...

Als ich endlich entlassen wurde und wieder daheim war, habe ich meiner Familie erstmal stolz präsentiert, wie gut ich ohne Rollator laufen konnte. Und dennoch hieß es für mich erstmal wieder: Laufen mit Rollator. Ich war am Anfang ein bisschen enttäuscht weil ich doch endlich alleine laufen wollte. Außerdem war es mir irgendwie unangenehm, mit dem Rollator in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Aber für längere Strecken war es einfach sicherer und auch meine Körperhaltung war mit Rollator aufrechter und besser. Und es gab einen weiteren Vorteil: mit dem Rollator hatte ich quasi immer meine eigene Sitzgelegenheit dabei und das war vor allem am Anfang hilfreich weil ich einfach noch sehr schwach war und nach kürzester Zeit meistens schon außer Atem. Also bin ich brav mit Rollator gelaufen. Mein Ehrgeiz war deswegen aber nicht weniger groß. Ab jetzt wollte ich jeden Tag ein Stück mit Rollator spazieren gehen. Und immer ein kleines Stück weiter. Ich wollte mich langsam steigern. Ausreden oder schlechtes Wetter? Zählten nicht! Und weil ich weiterhin immer eine Begleitung gebraucht habe, sind auch meine Familie und mein Freund zwangsweise ständig spazieren gegangen. Ein schönes neues Ritual, das uns allen gut getan hat und das uns irgendwie noch mehr zusammen geschweißt hat. Und nicht zu glauben, wie weit man mit Rollator laufen kann! Einmal waren mein Freund und ich spazieren und haben spontan entschieden: wir laufen bis zum Wohnort meiner Eltern. Und das sind hin und wieder zurück immerhin 7 Kilometer! Ich werde nie vergessen, wie überrascht meine Mama war, als ich auf einmal mit Rollator vor der Haustür stand! 

ich kann wieder laufen!

Nach zahlreichen Spaziergängen mit Rolli hatte meine Physiotherapeutin eine neue Idee: wir könnten es ja mal mit Laufstecken probieren. Und wieder war ich dem eigenständigen Laufen ein Stück näher. Die Stecken haben mir allerdings nicht wirklich getaugt und so haben wir bald entschieden, dass ich es nun endlich wieder ohne Rollator probieren würde. Gesagt, getan! Ich war so dankbar und froh – endlich war ich den Rollator und die blöden Stecken los und konnte alleine gehen. Was für ein Gefühl von Freiheit und Glück! Auch wenn erstmal wieder nur kleine Strecken möglich waren – ich war überglücklich und bin jedes Mal wieder ein Stück weiter gegangen.

für immer dankbar

Mittlerweile ist das Laufen auch für mich wieder selbstverständlich geworden. Es fühlt sich zwar noch nicht ganz normal an, denn meine Teillähmung im rechten Bein merke ich immer noch ein bisschen. Aber Hauptsache überhaupt wieder laufen! Und das tägliche Spazieren habe ich mir auch versucht beizubehalten. Eine Sache will ich auf jeden Fall nie mehr vergessen: wie unendlich wertvoll es ist, eigenständig gehen zu können. Ich will ab jetzt und für immer dankbar dafür sein. Jeden einzelnen Tag. 

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