Als ich im März versucht habe, meine Tabletten abzusetzen, hat das leider überhaupt nicht funktioniert. Ich habe daraufhin eine Depression bekommen. Das war wirklich keine leichte Zeit. Dennoch bin ich überzeugt davon, dass wir in Krisen auch immer etwas lernen und neue Erkenntnisse gewinnen können. Was ich durch meine Depression gelernt habe, teile ich in diesem Blogbeitrag mit euch.
Es ist okay, Antidepressiva zu nehmen
Nach meinem Unfall wollte ich unbedingt wieder tablettenfrei werden. Denn ich bin absolut kein Mensch, der gerne Tabletten nimmt. Ich denke dann immer an all die Nebenwirkungen und habe Tabletten deshalb schon immer eher als Last und weniger als Hilfe gesehen. Deswegen wollte ich auch unbedingt meine Antidepressiva wieder absetzen. Aber nach dem gescheiterten Absetzversuch war meine größte Lektion wohl, zu akzeptieren, dass es okay ist, Antidepressiva zu nehmen. Denn es bringt nichts, wenn es einem ohne Tabletten schlechter geht und man das Leben überhaupt nicht mehr genießen kann. Mein Ziel ist zwar immer noch, die Tabletten irgendwann abzusetzen aber aktuell betrachte ich sie als Hilfsmittel, die mich auf meinem Weg unterstützen und begleiten.
Das Leben genießen
Ich habe außerdem gelernt, einfach mal nichts zu tun und das Leben zu genießen. Es gab während dieser Zeit nur eine Sache, auf die ich mich konzentrieren wollte. Und das war, wieder gesund zu werden. Deswegen habe ich auch nur Dinge getan, die mir gut getan haben. Und mir endlich eine Pause gegönnt. Ruhe. Zeit zum Erholen. Zeit zum Heilen. Und das war es auch, was ich so dringend gebraucht habe. Immerhin bin ich letztes Jahr fast gestorben. Und ich habe verstanden, dass ich mir danach eine Pause mehr als verdient habe.
Fake it till you make it
Als es mir während meiner Depression sehr schlecht ging, hat
mir mein Psychologe einen Impuls gegeben, den ich sehr hilfreich fand. Und das
war folgender: Auch in schwierigen Zeiten wünschen wir uns eigentlich nichts
sehnlicher, als glücklich zu sein. Aber genau das gelingt uns dann oft ganz und
gar nicht. Man kann sich aber vorstellen, wie man sich gerne fühlen würde:
glücklich, unbeschwert, frei und dankbar. Und dann kann man ganz nach dem
Prinzip „Fake it till you make it“ immer wieder versuchen, sich in diesen
glücklichen Zustand hineinzuversetzen. Und auch wenn es einem am Anfang
schwerfällt und man es vielleicht nur „vortäuscht“ – je öfter man das macht,
desto leichter fällt es. Und irgendwann wird aus dem „gefakten“ Zustand ein
echter und ehrlicher Zustand, den wir wirklich fühlen.
Wenn es mir gut geht, geht es auch anderen gut
Mein Freund, meine Familie und die Menschen, die mir
nahestehen – sie alle haben während dieser schwierigen Zeit mit mir gelitten.
Gerade weil ich durch den Unfall sowieso schon so viel mitgemacht haben. Es
ging nicht nur mir schlecht, sondern auch ihnen. Und als es mir langsam wieder
besser ging, habe ich gemerkt, wie es alle anderen aufgeatmet haben. Es sind
nicht nur mir tausend Steine vom Herzen gefallen – sondern auch den Menschen,
die ich liebe. Und da habe ich eine Sache verstanden: Wir sind so tief
verbunden mit unseren Herzensmenschen. Wenn wir glücklich sind, sind es auch
die Menschen um uns herum. Dann können wir alle gemeinsam glücklich sein und
das Leben genießen. Und es gibt doch nichts, was mehr Wert ist, oder?
Es ist so wichtig, sich hilfe zu holen
Zum Glück war ich schon vor meiner Depression in psychologischer
Behandlung. Ich habe mir damals direkt nach meinem Unfall Hilfe geholt, um mein
Trauma auch psychisch richtig zu verarbeiten. Und auch während meiner
Depression bin ich regelmäßig zu meinem Psychologen und meiner Psychiaterin gegangen.
In vielen Notfallsitzungen saß ich verzweifelt auf dem Behandlungsstuhl und
habe unzählige Tränen geweint. Aber ich hatte einen sicheren Ort, an dem ich über
meine Gedanken und Sorgen reden konnte. Und gemeinsam haben wir nach Lösungen
gesucht. Und das hat mir unglaublich geholfen und ich bin mir sicher, ohne
professionelle Hilfe hätte ich meine Depression nicht so schnell und gut
überwunden. Deswegen bin ich überzeugt: Wenn man psychisch krank ist, ist es so
wichtig, sich helfen zu lassen.
das leben kommt in wellen
Das Leben ist wie das Meer und die guten und schlechten
Zeiten kommen wie in Wellen. Und das ist absolut normal und gehört zum Leben
dazu. Es ist ein ständiges Auf und Ab. Ein Wechsel zwischen Höhen und Tiefen.
Und wir können uns bei einer Sache ganz sicher sein: nach einer schlechten
Phase kommt auch immer wieder eine gute. Manchmal müssen wir gar nicht viel
machen – wir müssen die „Welle“ einfach nur aushalten und mit der Zeit geht sie
einfach so vorüber. Und dann kommt die nächste Welle, die vielleicht eine gute
ist. So geht es immer weiter. Nichts bleibt gleich und unser Leben ist im
stetigen Wandel. Wie das Meer. Wie die Wellen. Und das zu erkennen und zu
verstehen, war für mich unglaublich beruhigend. Ich habe dadurch dem Leben
wieder mehr vertrauen können. Und akzeptiert, dass schlechte Zeiten zum Leben
dazugehören. Genauso wie die guten.
Es gibt kein zurück
Das war wohl meine schmerzlichste Erkenntnis, die mich am
meisten Tränen gekostet hat. Mich von meinem alten Leben vor dem Unfall zu
verabschieden und zu erkennen, dass es kein „Zurück“ mehr gibt.
Denn nach dem Unfall wollte ich unbedingt mein altes Leben
zurück, so wie es vorher war. Und ich dachte, wenn ich mich nur genug
anstrenge, dann schaffe ich das auch. Ich wollte immer mehr erreichen. Mir
immer mehr Dinge zurück erkämpfen, die ich auch vor dem Unfall konnte oder
hatte. Und das am besten immer schneller. Und ich dachte dann wirklich, wenn
ich die Tabletten noch abgesetzt habe, dann habe ich es endlich geschafft. Dann
habe ich mein altes Leben zurück. Dann bin ich wieder mein „altes Ich“. Als ich
einmal bei meiner Psychiaterin saß und ihr von diesen Gedanken erzählt habe,
hat sie kurz innegehalten und überlegt. Dann hat sie folgende Worte zu mir
gesagt: „Frau Wendland, die Sache ist für mich ganz klar. Ich möchte Ihnen das
gerne bildlich erklären. Das Leben ist wie ein Fluss und was sie gerade
versuchen, ist im Fluss des Lebens rückwärts zu schwimmen. Sie wollen zu ihrem
alten Leben zurückschwimmen. Aber das funktioniert nicht. Im Fluss des Lebens
kann man niemals zurückschwimmen. Das ist es, was sie verstehen und annehmen
müssen.“ Diese Worte haben mir sehr geholfen. Ich habe verstanden, dass ich
mein altes Leben nie zurückbekommen werde. Ich muss mich davon verabschieden
und es loslassen. Aber gleichzeitig habe ich vom Leben eine zweite Chance
bekommen und ab jetzt versuche ich, mich mehr darauf zu konzentrieren, vorwärts
zu schwimmen. Mein neues Leben zu gestalten. Und nicht immer zurückzublicken.
ein trauma braucht zeit zum heilen
Im Nachhinein denke ich, dass nach dem Unfall alles
vielleicht ein bisschen zu schnell ging. Ich habe mich zurück ins Leben
gekämpft und war dabei sehr ehrgeizig und vielleicht ein bisschen zu streng mit
mir. Ich habe mir einfach nie eine richtige Pause gegönnt. Auch nicht, um mein
Trauma psychisch richtig zu verarbeiten. Aber wenn man so etwas Schlimmes
erlebt und ein Trauma hat – das ist einfach etwas, was Zeit zum Heilen braucht.
Ganz viel Zeit und Geduld. Heilung passiert nicht von Heute auf Morgen.
Gedanken lassen sich ändern
Während meiner Depression hatte ich eigentlich nur noch negative Gedanken. Am schlimmsten waren meine Selbstzweifel. Ich habe einfach in allen Bereichen meines Lebens gedacht, dass ich nichts wert bin und gar nichts kann. Dabei habe ich mich regelrecht selbst mit abwertenden Gedanken fertig gemacht. Es war fast so, als hätte mein innerer Kritiker überhandgenommen. Diese Selbstzweifel und negativen Gedanken waren einfach ständig präsent. Aber ich habe dann erkannt, dass sich Gedanken auch wieder ändern lassen. Zusammen mit meinem Psychologen haben wir uns die häufigsten negativen Gedanken angeschaut und diese dann in positive umformuliert. Diese haben wir als Affirmationen aufgeschrieben und ich habe mir sie jeden Tag nach dem Aufstehen und vor dem Schlafen durchgelesen. Immer wieder. Tag für Tag. Und irgendwann habe ich die positiven Gedanken verinnerlicht und die negativen sind langsam leiser geworden. Seitdem weiß ich: Gedanken kommen und gehen und negative Gedanken lassen sich in positive Gedanken umwandeln. Wir selbst haben die Wahl, welche Gedanken wir wählen.
Ich bin gut genug - auch wenn ich nichts leiste
Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der Menschen nach Leistung bewertet werden. Wer etwas leistet, ist etwas wert. Das habe auch ich im Laufe meines Lebens verinnerlicht. Als es mir dann so schlecht ging, dass ich nicht mehr arbeiten konnte, hatte ich ein schlechtes Gewissen und habe mich sehr schlecht gefühlt. Ich war krank und konnte objektiv betrachtet in allen Bereichen weniger leisten. Da habe ich mich automatisch gefragt: „Was bin ich eigentlich so noch wert?“. Und ich glaube, dass es vielen so geht. Viele von uns fühlen sich wertlos, wenn sie nichts machen. Die Wahrheit ist aber: Menschen sind mehr wert als das, was sie leisten. Und wir sind auch gut genug, wenn wir nichts leisten. Mehr als gut genug.
Psychische krankheiten sind nichts, wofür man sich verstecken muss
Ich bin schon immer überzeugt davon, dass psychische Krankheiten nichts sind, wofür man sich schämen muss. Ganz im Gegenteil – ich finde, dass wir in unserer Gesellschaft viel offener darüber reden sollten. Und trotzdem – als ich dann selbst betroffen war, wollte ich mich zuerst einfach nur verstecken. Ich habe mich irgendwie geschämt. Mein Zustand war mir peinlich und unangenehm. Und ich wusste nicht so recht, wie ich damit umgehen soll. Wenn mich Leute gefragt haben, warum ich krank war, habe ich es manchmal verschwiegen und einfach geantwortet, dass es mir nicht so gut ging. Aber mittlerweile fühle ich mich bereit dazu, offen damit umzugehen. Und nächstes Mal, wenn mich jemand fragt, werde ich ehrlich antworten. Denn ich möchte mutig sein. Und dazu beitragen, dass offen über psychische Krankheiten geredet wird. Denn es ist absolut nichts, wofür man sich schämen muss oder sollte. Und es sind mehr Menschen davon betroffen als wir glauben. Aber nur wenn wir offen damit umgehen, motivieren wir auch andere dazu, sich zu öffnen. Dann merken wir, dass wir nicht alleine sind. Dann können wir füreinander da sein. Dann können wir uns gegenseitig helfen.
Yoga kann heilen
Während der Depression konnte ich überhaupt nichts mehr
genießen und selbst die Dinge, die ich eigentlich gerne gemacht habe, haben mir
keinen Spaß mehr gemacht. Ich hatte Probleme, mich auf eine Sache zu
konzentrieren und einfach im Moment zu sein. So war es auch beim Yoga – obwohl
dass doch eigentlich meine große Leidenschaft ist. Aber ich wusste, dass Yoga
mir schon immer geholfen hat und so habe ich es trotzdem weiterhin regelmäßig
gemacht. Auch wenn es mir schlecht ging. Nicht nur ein Mal lag ich auf meiner
Yogamatte und habe während dem Yoga geweint. Und trotzdem hat es mir jedes Mal
gut getan. Nach einer Runde Yoga ist man einfach immer ein anderer Mensch –
ruhiger, entspannter und vor allem glücklicher. Und ich bin überzeugt davon,
dass Yoga auch heilen kann. Den Körper und die Seele.
So das war meine wichtigsten Erkenntnisse, die ich durch meine Depression hatte. Ich hoffe, dass ihr daraus vielleicht etwas mitnehmen könnt. Und falls es euch selbst grade nicht so gut geht – denkt immer daran: ihr seid nicht alleine und auch diese Zeit wird irgendwann vorüber gehen. Und irgendwann könnt ihr wieder glücklich sein. Das habe ich geschafft und ihr schafft es auch.
Fühlt euch umarmt,
eure Viktoria